New Start : das letzte noch gültige Abkommen zur Begrenzung von Atomwaffen
Zwischen den USA und Russland haben in Wien am 22. Juni 2020 Gespräche über eine Verlängerung des New-Start- Abkommens begonnen. Worüber wird verhandelt?Der Vertrag zur Verringerung der strategischen Nuklearwaffen, auch: START-Vertrag (Strategic Arms Reduction Treaty), wurde am 31. Juli 1991 zwischen den USA und der Sowjetunion beschlossen und sah die Reduzierung der strategischen Atomwaffen bis zum Jahr 2009 vor. Er erlaubte beiden Seiten, jeweils 6.000 Kernsprengköpfe und 1.600 Trägerraketen zu besitzen. Des Weiteren verfügte der Vertrag über ein Kontrollsystem, das beiden Staaten Überprüfungen im anderen Land gewährte. Seit dem Zerfall der Sowjetunion galt das Abkommen für Russland, Weißrussland, Kasachstan, die Ukraine und die USA.
Es wurde ein START II-Abkommen angestrebt, welches die Deaktivierung aller landgestützten Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen vorsehen sollte. Dieses Abkommen trat jedoch nie in Kraft, da es vom russischen Parlament nicht ratifiziert wurde. Am 8. April 2010 unterzeichneten die USA und Russland mit dem "New START"-Vertrag ein Nachfolgeabkommen. (1)
Der Vertragstext umfasst 20 Seiten mit über 100 Seiten Anhängen. Der Inhalt wurde vom Weißen Haus vorab zusammengefasst bekannt gegeben:
• Die Atomsprengköpfe auf strategischen Trägersystemen (Interkontinentalraketen, U-Boot gestützte Langstreckenraketen und Langstreckenbomber) werden auf je 1.550 Stück reduziert.
• Der Zahl der stationierten und nicht stationierten Interkontinentalraketen, U-Boot gestützten Raketen und Langstreckenbomber wird insgesamt für jedes Land auf 800 Stück begrenzt, wobei nicht mehr als 700 dürfen stationiert sein.
• Sieben Jahre nach Inkrafttreten des neuen Start-Vertrages müssen diese Zahlen erreicht sein. Der Vertrag bleibt zehn Jahre gültig, wobei eine Verlängerung um fünf weitere Jahre möglich ist.
• Bilaterale Kontrollmechanismen zur gegenseitigen Überprüfung werden, nachdem vertrauensbildende Maßnahmen im SORT-Vertrag fehlten, wieder eingeführt.
Der neue START-Vertrag wurde am 22. Dezember 2010 im US-Senat nach langer Debatte ratifiziert und ist im Februar 2011 in Kraft getreten. (2)
Wurde der New-Start Vertrag eingehalten?
Zum Stichtag 5. Februar 2018 hatten beide Seiten Sprengköpfe und Trägersysteme bis unter die vertraglich festgesetzten Obergrenzen reduziert. Überprüft wird der Abrüstungsvertrag durch bis zu 18 Überprüfungsbesuche im Jahr und einen regelmäßigen Datenaustausch vor. (3)
Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI liegt das russische Arsenal bei insgesamt 6.375 Sprengköpfen, das der USA bei 5.800. Das sind weit mehr als die im Vertrag genannten Sprengköpfe. Wie kommt die Differenz zustande?
Nicht mit einbezogen wurden die in Reserve gehaltenen Sprengköpfe. So kommt es, dass die tatsächliche Zahl auf beiden Seiten wesentlich höher liegt. (4)
Das Abkommen läuft am 5. Februar 2021 aus, kann aber auf Wunsch beider Seiten um maximal fünf weitere Jahre verlängert werden. Wie stehen die Chancen für eine Vertragsverlängerung?
Die USA kündigten bereits den ABM-Vertrag über die strategischen Raketenabwehrsysteme (2002), den INF - Vertrag über das Verbot landgestützter atomarer Kurz- und Mittelstreckenwaffen (2019) und das Abkommen „Open Skies“, über militärische Beobachtungsflüge (2020). Bei letzteren Beiden jeweils mit dem Argument, Moskau halte sich nicht an die Vertragsvereinbarungen.
Im Oktober 2019 hat der russische Präsident Wladimir Putin darauf gedrängt, den Vertrag zu verlängern und meinte, Russland habe den USA Vorschläge unterbreitet. Er sagte, dass der Vertrag "praktisch das letzte Instrument sei, das ein ernstes Wettrüsten" einschränke. (5)
Zum Verhandlungsauftakt des New Start-Vertrages kritisierte US-Delegationsleiter Marshall Billingslea: Russland modernisiere verstärkt sein nichtstrategisches Atomwaffenarsenal, das vom »New Start«-Vertrag nicht abgedeckt sei. Das heißt dann aber auch: Sollte das zutreffen, wäre es nicht verboten. (6)
Es ist jedoch fraglich, ob die US-Seite an einer Vertragsverlängerung interessiert ist. Das liegt nicht nur daran, dass die Administration von Präsident Donald Trump an internationalen Abkommen prinzipiell kein Interesse zeigt; im konkreten Fall hat sie für die Gespräche über »New Start« eine Bedingung gestellt, die von den beiden am Tisch sitzenden Parteien gar nicht erfüllt werden kann: die Einwilligung Chinas, an den Verhandlungen teilzunehmen und damit sein eigenes Arsenal ebenfalls zur Diskussion zu stellen. Mit laut SIPRI 320 aktiven Atomsprengköpfen ist das chinesische Nukleararsenal das drittgrößte der Welt, es folgen Großbritannien und Frankreich mit jeweils gut 200 Sprengköpfen. (7)
China baut sein Atomwaffenarsenal zielstrebig aus, ist aber, wie die schon genannten Zahlen zeigen, weit von der Schlagkraft sowohl Russlands als auch der USA entfernt. (8)
Moskau betont, über eine Verlängerung von New START könnten nur die Vertragsparteien USA und Russland eine Vereinbarung treffen.
Wenn Washington mit China über Rüstungskontrolle verhandeln wolle, müsse das bilateral geschehen. Auch die französischen und britischen Atomwaffen müssten dann Gegenstand der Vereinbarungen sein. (9)
Was ist die Haltung der chinesischen Regierung?
Beijing begründet seine Weigerung, sich auf die Verhandlungen einzulassen, damit, dass das eigene Arsenal weit geringfügiger sei als das der USA und Russlands; wenn diese also Abrüstung wollten, sollten sie in Vorleistung treten. Es sei daher »noch nicht der richtige Zeitpunkt« für eine Beteiligung der Volksrepublik, sagte die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Hua Chunying, der dpa. Die USA werfen China dagegen vor, seine eigenen Nuklearstreitkräfte verstärkt auszubauen, und wollen dem offenkundig zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zuvorkommen. Parallel dazu hat NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg das westliche Kriegsbündnis aufgerufen, die »Bedrohungen seiner Interessen« durch das Erstarken Chinas ernster zu nehmen als bisher. (10)
Welche Folgen hätte ein Misserfolg der New-Start Verhandlungen?
Sollte New Start tatsächlich ohne Verlängerung auslaufen, stünde die Welt zum ersten Mal seit knapp 50 Jahren ohne eine vertraglich bindende Begrenzung der beiden größten Atomarsenale der Welt da. Ohne regulierende Verträge wird die nukleare Aufrüstung weiter beschleunigt. Die weltweite Modernisierung der Atomwaffen läuft bereits. (11)
Ein erneutes atomares Wettrüsten ist zu befürchten.
Sicherheit durch atomare Abschreckung gewährleisten zu wollen, ist eine gefährliche Strategie.
Quellen:
(1) Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.
https://frieden-sichern.dgvn.de/abruestung/abc-waffen/atomwaffen/uebereinkommen/start-new-start-vertrag/
(2) https://www.atomwaffena-z.info/heute/ruestungskontrolle/start-vertraege.html
(3) https://www.dw.com/de/was-man-zu-den-new-start-verhandlungen-wissen-sollte/a-53872136
(4) Jörg Kronauer: https://www.jungewelt.de/artikel/380751.neuanfang-oder-finte.html
(5) https://www.sueddeutsche.de/politik/russland-usa-putin-will-atomgespraeche-1.4638584
(6), (7) Jörg Kronauer: https://www.jungewelt.de/artikel/380751.neuanfang-oder-finte.html
(8) https://www.atomwaffena-z.info/heute/atomwaffenstaaten/china.html
(9) https://www.dw.com/de/was-man-zu-den-new-start-verhandlungen-wissen-sollte/a-53872136
(10) https://www.jungewelt.de/artikel/380751.neuanfang-oder-finte.html
(11) https://www.icanw.de/fakten/herstellung-und-einsatz/modernisierung-weltweit/
Zur weiteren Information ein Artikel von Wolfgang Richter:
Nukleare Rüstungskontrolle in Gefahr
Der neue Rüstungswettlauf und die Erosion der Rüstungskontrolle unterminieren die strategische Stabilität
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit
Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin
SWP-Aktuell 2020/A 34, Mai 2020, 8 Seiten
https://www.swp-berlin.org/10.18449/2020A34/