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Termine

Hiroshima-Nagasaki Gedenken 2024

Foto: Felix Winter
Kassel, Hiroshima-Ufer, 9. August 2024

Der Redebeitrag von Dr. Markus Schimmelpfennig (IPPNW):

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
sehr geehrte Damen und Herren,

am heutigen Tage jährt sich zum 79. Male der Atombombenabwurf auf Nagasaki, 3 Tage zuvor wurde Hiroshima atomar bombardiert.
Den Befehl dazu gab US-Präsident Harry S. Truman im Haus Erlenkamp in Potsdam, wo die amerikanische Delegation während der Potsdamer 4-Mächte-Konferenz einquartiert war.

Die Atombombenexplosionen töteten rund 100.000 Menschen sofort, fast ausschließlich Zivilisten und verschleppte Zwangsarbeiter. Bis Ende 1945 starben weitere 130.000 Menschen an ihren Verletzungen oder der Strahlenkrankheit. Das Sterben setzte sich Jahrzehnte fort.

Zum Vergleich: Wir reden hier von 2 Städten, 2 Flugzeugen, 2 Atombomben. Das flächenhafte Bombardement Kassels am 22.Oktober 1943 durch alliierte Bomberverbände kostete unmittelbar in der Bombennacht 10.000 Menschen das Leben. Ich sage das nicht, um das Bombardement Kassels zu verharmlosen, sondern um die unvorstellbare Zerstörungskraft der Atomwaffen gegenüber konventionellen Waffen deutlich zu machen.

So nachrichtenmäßig das klingt, dahinter stecken Einzelschicksale und die Ausführenden haben Namen: Der Pilot über Hiroshima hieß Paul Tibbets, 30 Jahre alt, er taufte seinen Langstreckenbomber B29-Superfortress Nr. 82 auf den Namen seiner Mutter „Enola Gay“. Die 3 m lange und 4 Tonnen schwere Uranbombe hieß „little boy“ und hatte eine Sprengkraft von 12.500 Tonnen TNT.
Paul Tibbets hat den Abwurf der Atombombe nie bereut.
Der Pilot über Nagasaki war der 25-jährige Charles Sweeney, sein B-29-Bomber „Bockscar“ trug die Plutoniumbombe „Fat man“ mit einer Sprengkraft von 22.000 Tonnen TNT.
Bis heute hat keine Regierung der USA offiziell um Entschuldigung gegenüber den zivilen Opfern der Atombombenabwürfe und ihrer Angehörigen gebeten.

Wenden wir uns den Opfern zu: Sie werden in 3 Gruppen eingeteilt:
- diejenigen, die sofort starben
- die Opfer der Frühtodesfälle der Strahlenkrankheit bis Ende 1945 und
- die sog. Hibakusha, die an Spätschäden, meist Krebserkrankungen, erkrankten und starben.

Eine sehr bekannte Hibakusha aus Hiroshima ist Sadako Sasaki. Sie war zum Zeitpunkt des Atombombenabwurfs 2 ½ Jahre alt. 12-jährig erkrankte sie 1955 an Leukämie. Eine Freundin erzählte ihr, dass nach einer alten japanischen Legende derjenige einen Wunsch bei den Göttern frei habe, der 1000 Origami-Kraniche falte.
Sie tat das, um so ihre Gesundheit zurückzuerhalten, was nicht gelang, aber dies ist der Grund, warum Origami-Kraniche zu einem Symbol der internationalen Friedensbewegung und des Widerstandes gegen den Atomkrieg geworden sind.

Damit, liebe Friedensfreundinnen und –freunde, sind wir bei uns!
Wer die schrecklichen Wirkungen von Atomwaffen kennt und sich den Grundlagen der Humanität verpflichtet fühlt, kann nur ein Gegner jeglicher Atomwaffen sein! Und deswegen sind wir ja heute hier versammelt, um im Gedenken an die Opfer von Hiroshima und Nagasaki auf die nach der Kuba-Krise von 1962 aktuell größte Gefahr eines Atomkrieges aufmerksam zu machen und dazu aufzurufen und zu ermutigen, sich dieser tödlichen Gefahr entgegenzustellen und laut zu sagen: „Nein!“

Warum stehen wir aktuell am Rande eines 3. Weltkrieges, der leicht atomar eskalieren kann und alles Leben auf dieser Erde zu vernichten droht?

Weil die Karten der Macht und der Vorherrschaft in der Welt seit dem Ende der Nachkriegs-Ost-West-Konfrontation Ende der 80-iger, Anfang der 90-iger Jahre neu gemischt werden.
Und lassen wir uns nichts vormachen: es geht dabei nicht um Werte, sondern um knallharte geostrategische und territoriale Interessen! „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um Interessen von Staaten. Merkt Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt!“, so Egon Bahr am 3. Dezember 2013 vor 45 Gymnasiasten in einer Diskussion in der „Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte“ in Heidelberg. Auch machte er in diesem Zusammenhang die Bemerkung, „dass wir in einer Vorkriegszeit leben“.

Dabei sah es zunächst gut aus: Die Sowjetunion stimmte einer Wiedervereinigung Deutschlands zu und akzeptierte sogar den Verbleib des wiedervereinigten Deutschlands in der NATO unter der Bedingung, dass keine NATO-Truppen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR stationiert würden.
Und immer sind es auch Einzelpersonen, die eine zentrale Rolle spielen: In diesem Falle Helmut Kohl und Michail Gorbatschow. Ohne deren nahezu freundschaftliche Beziehung, die Chemie stimmte einfach zwischen den beiden, und ohne ihr wechselseitiges Vertrauen zueinander wäre die Wiedervereinigung Deutschlands zumindest so relativ reibungsarm nicht zustande gekommen.
Im Gegenzug gab es Zusicherungen von Baker, Bush, Kohl, Mitterrand, Thatcher, Hurd, Major und Wörner an Gorbatschow im Sinne eines „not one inch eastward“ bezüglich einer Expansion der NATO. Doch es kam anders, wie wir wissen.

Und hier komme ich zu einem grundsätzlichen Problem in der Kommunikation, ganz egal, ob zwischen Einzelpersonen, Organisationen oder Staaten:
Wenn ich aufhöre, mein Gegenüber ernst zu nehmen, für voll zu nehmen, mich alleinig im Recht wähne, nicht mehr auf einen fairen Interessensausgleich bedacht bin, dann wird’s sehr schnell sehr gefährlich! Und genau das ist passiert und passiert immer noch!
Schon Obama verspottete Russland als „Mittelmacht“, sprach ihm also den Großmachtstatus und damit die Augenhöhe ab.

In Siegermentalität wurden aus 16 NATO-Staaten Anfang der 90-iger Jahre mal eben 30 und als Reaktion des Überfalls Russlands auf die Ukraine durch den Beitritt von Schweden und Finnland 32.
Henry Ford hat einmal gesagt: „Das Geheimnis des Erfolges liegt im Verstehen des Gegenübers!“ Das gilt für jedes Gegenüber, egal ob Kind, Hund, Katze, ihren Computer oder eben auch Staaten und ihre Machtausübenden.
Wer aufhört, verstehen zu wollen, hört auf, Probleme seriös lösen zu wollen! Und da ist es schon bemerkenswert, dass die Mehrzahl der deutschen Journalisten den Unterschied zwischen „verstehen wollen“, „Verständnis haben“ und „einverstanden sein“ nicht mehr kennen wollen. Wie sonst könnte es sein, dass das Wort „Putinversteher“ als Schimpfwort missbraucht wird. Das Wort „Biden-Versteher“ als Schimpfwort habe ich übrigens noch nie gehört, es scheint also in Ordnung zu sein, ihn verstehen zu wollen und das ist es auch! Aber nochmal: Verstehen wollen, Verständnis haben und einverstanden sein sind 3 verschiedene Dinge!

Die USA haben ein Problem: Sie werden auf absehbare Zeit ihre Rolle als einzige Weltmacht verlieren und das wollen sie nicht. Also versuchen sie, das zu verhindern oder wenigstens hinauszuzögern.
Und da käme ihnen eine Komplettpräsenz der NATO unmittelbar an der gesamten russischen Westgrenze (ohne Belarus) unter Einbeziehung der Ukraine als Schlussbaustein gerade recht, am besten noch plus NATO-Mitgliedschaft Georgiens.
In diese Richtung hatte ja Zbignew Brzezinski, US-Präsidentenberater und Vordenker amerikanischer Sicherheitsinteressen bereits in den 90-iger Jahren gedacht. Damit hätte man Russland als Großmacht auf lange Zeit vom Hals, am besten noch kombiniert mit Zwietracht zwischen Russland und Westeuropa, dann ist auch der Vasallenstatus Europas gegenüber den USA lange besiegelt und die USA können sich ihrem Hauptrivalen „zuwenden“ – China (Indien und die südamerikanischen Schwellenländer lasse ich jetzt mal außen vor). Zwischen den USA und China gibt es ja genug „Säbelrasseln“, speziell in der Taiwan-Frage, auch das ein potentieller weiterer Brandherd, neben der Ukraine und dem Israel/Gaza-Krieg, der sich zum Flächenbrand auszuweiten droht, weil auch hier ein eklatanter Mangel an Bereitschaft zum Interessensausgleich auf allen Seiten besteht und Gedanken an Rache und Vergeltung bestimmend sind.
Bloß, dass Rache und Vergeltung noch nie Probleme gelöst haben!

Verstehen Sie mich richtig: Als Pazifist und Mitglied der IPPNW seit knapp 40 Jahren kann und will ich Krieg, Gewalt und militärische Verbrechen, egal wo und durch wen ausgeübt, niemals rechtfertigen! Das erspart mir freilich nicht, Zusammenhänge verstehen und benennen zu wollen, denn ohne Verstehen keine Lösung!
Selbst wenn es z.B. der israelischen Armee gelänge, jeden Hamas-Terroristen zu töten – die neue Hamas der nächsten Generation wäre schon da, denn der getötete Hamaskämpfer hat auch eine Frau, Söhne und Töchter, die ihrerseits Rache und Vergeltung schwören.

Der preußische General von Clausewitz, er lebte von 1780-1831, hat gesagt: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“
Wir als Teil der weltweiten Friedensbewegung wissen und sagen es laut und deutlich: Eine solche Haltung bedeutet in heutiger Zeit die Gefahr des kollektiven atomaren Selbstmords der Menschheit und des Unterganges allen Lebens auf dieser Erde! Dazu kann man, wenn man bei klarem Verstand ist, nur „Nein“ sagen, laut und unüberhörbar!

Gute Lösungen für Konflikte, seien sie zwischen Einzelpersonen, Organisationen oder Staaten, gibt es nur im Gespräch, in der Begegnung und auf dem Verhandlungsweg. Diese müssen getragen sein von Ehrlichkeit, gegenseitigem sich Ernstnehmen, der Bereitschaft zum Interessensausgleich und schrittweisem Vertrauensaufbau.
Dafür werben wir, dafür treten wir ein, dafür kämpfen wir!

Und noch etwas: Krieg ist das unökologischste, unhygienischste und klimaschädlichste, was es gibt! Schlimm, dass das etliche von Pazifisten zu Bellizisten konvertierte Politiker, auch bei den Grünen, nicht mehr sehen können oder nicht mehr sehen wollen!

Wir jedenfalls sagen
  • Nein zu Atomwaffen,
  • Nein zum Krieg,
  • Nein zur Aufrüstung,
  • Nein zur Kriegstauglichkeit,
hingegen
  • Ja zur Friedenstauglichkeit,
  • Ja zu Verzicht auf Rache und Vergeltung,
  • Ja zu Verhandlungen, die auch das Sicherheitsinteresse des Gegenübers respektieren, denn nur gemeinsame Sicherheit ist eine tragfähige Grundlage guter zwischenstaatlicher Beziehungen, wie Egon Bahr, den ich hiermit zum zweiten Mal zitiere, in seinem Konzept der gemeinsamen Sicherheit bereits in den 80-iger Jahren dargelegt hat. Dies gilt auch heute noch und es gilt weltweit!
Danke, dass Sie mir zugehört haben,
danke für Ihre Bereitschaft, sich mit meinen Überlegungen zum heutigen Gedenktag auseinanderzusetzen!